Die Volkswagen AG ist nur dem Namen nach ein Unternehmen des Volks. In Wahrheit gehört die Mehrheit der entscheidenden Stammaktien den Familien Porsche und Piëch. Bei den Verlusten ist das Volk dennoch voll dabei bei Volkswagen – und kann nicht klagen.

Bayerische Beamte verklagen die niedersächsische Volkswagen AG: Der Vorstand habe verspätet über das Auffliegen des Abgasskandals unterrichtet. Die Beamtenpensionskasse habe deshalb nicht früh genug 58.000 VW-Aktien verkaufen können, die sie zur Absicherung der Pensionsansprüche ihrer Beamten hält. Den entstandenen Schaden will die Pensionskasse ersetzt haben. Das klingt zunächst logisch und ehrenhaft. In Wahrheit ist die Klage als unlogischer Aktionismus zu bezeichnen. Diese Klage ist genauso irrig wie weit verbreitete Anlagepraktiken mit Millionen VW-Aktien. Sparer und Anleger werden auf diese Weise geschädigt – durch ihre Investmentfonds.

Irrige Bayern-Klage

Sofern der Vorstand von VW pflichtgemäß gehandelt hätte, spätestens als der Abgasskandal aus den USA über den Atlantik schwappte, dann hätte der VW-Vorstand sicher nicht die bayerischen Beamten zuerst informiert, so dass ihre Pensionskasse noch zu guten Kursen hätte verkaufen können. Vielmehr hätte der VW-Vorstand die gesamte Finanzöffentlichkeit mit einer sog. Adhoc-Meldung alarmiert. Innerhalb von Minuten wäre der Aktienkurs dann nach Süden gerauscht; in den Kurskeller. Ob die bayerischen Pensionsverwalter es geschafft hätten, innerhalb der ersten Sekunden dieser wenigen Minuten die VW-Aktien zu verkaufen, das werden sie beweisen müssen. Und was die Bayern schwerlich werden beweisen können, das können auch andere, ähnlich argumentierenden Kläger nicht beweisen.

Stefan Weil in Zwickmühle

Am ehesten könnte das Land Niedersachsen klagen: Stefan Weil, der Ministerpräsident der Niedersachsen, gehört nebenbei dem Präsidium des Aufsichtsrats von VW an. „Sein“ Land hält traditionell 20 % der VW-Stammaktien. Als Präside ist Weil in alle wesentlichen Vorgänge des besonders ambitionierten Weltkonzerns aus Wolfsburg eingebunden. Weil Präside und Präsident Weil jedoch die Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats ernst nimmt, hat er nicht Anweisung gegeben zu verkaufen. Insoweit hat Weil massive Schäden zu verantworten, die dem Land entstanden sind und noch entstehen, wenn der Aktienkurs demnächst auf das Niveau der 1990er-Jahre zurückfallen sollte.

Belohnung für Schadenverursacher

Das seien unvermeidliche Kollateralschäden, so wird man in der Landeshauptstadt Hannover argumentieren. Wenn zur Bewältigung der Krise demnächst Arbeitsplätze bei VW wegfallen müssen, dann werden Weil und seine Minister alles daran setzen, dass nicht nur in Niedersachsen unschuldige Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit geschickt werden. Derweil setzte der Porsche- und Piëch-Clan rücksichtslos durch, dass VW zuletzt sogar noch eine Dividende auszahlte – vor allem an die Porsche- und Piëch-Familie und nebenbei auch für das Volk der Niedersachsen. Deshalb freut sich Weils Landeskasse sogar noch über Geld aus Wolfsburg; gezahlt für die 20 % Stammaktien, welche die Niedersachen halten – sozusagen als Volkseigentum.

Kein Steuerabzug für betrügerische Verluste

Die Dividende ist freilich nur ein schwacher Trost dafür, dass VW für 2015 keine Steuern mehr für’s Volk gezahlt hat – wegen des seit Jahren verschwiegenen und vom Aufsichtsrat nicht bemerkten oder geflissentlich übersehenen Abgasskandals. Für 2014 hatte der angebliche Volkskonzern noch mehr als 3 Mrd. € Ertragssteuern gezahlt. Das ist der finanzielle Skandal: Dass der Abgasskandal auf das Volk umgelegt, sozialisiert wird und nicht von der mitwissenden Eigentümerfamilie Porsche/Piëch oder von den verantwortlichen Vorständen gezahlt wird. Solche betrügerischen Verluste dürften nicht bei der Steuer abzugsfähig sein.

Am Schaden verdienen

Die Mitwisser konnten sogar noch an dem Schaden verdienen: Sie konnten rechtzeitig sog. Verkaufsoptionen an der Terminbörse kaufen; in der Erwartung, dass der VW-Kurs fallen würde, als Clanführer Ferdinand Piëch öffentlich auf Distanz ging zu seinem Vorstand Martin Winterkorn. Dass Piëch und der gesamte Aufsichtsrat Winterkorn zuvor zu abenteuerlichem Weltmachtstreben angestachelt hatten; das ist eine andere Geschichte. Je mehr der Aktienkurs dann tatsächlich fiel, desto mehr stieg der Wert der Verkaufsoptionen. Sie beinhalten regelmäßig das Recht, Aktien irgendwann zu einem von vornherein vereinbarten Kurs verkaufen zu dürfen; egal, wie tief der Börsenkurs tatsächlich steht.

Volk büßt für Volkswagen

Für das Millionenvolk der Sparer und Anleger sind solche Spekulationsgewinne weit ab von der Realität. Sparer und Anleger büßen indirekt bitter für die Verluste der VW-Aktien: Die Verwalter ihrer Investmentfonds halten diese Aktien durch; ganz gleich, ob sie steigen oder fallen. Diese sog. „passive Anlagepolitik“ ist weit verbreitet. Die Fonds verteilen das Geld ihrer Kunden, der Sparer und Anleger, immer genauso wie der Deutsche Aktienindex DAX sich verteilt. Der DAX wird auch aus dem jeweiligen Kurs der VW-Vorzugsaktien berechnet. Fällt die VW-Aktie, zieht sie anteilig den DAX und die Anteilwerte von Aktienfonds und Pensionskassen nach unten; so wie es seit mehr als einem Jahr der Fall ist. Für solche Verluste sehen sich Fondsverwalter regelmäßig nicht in der Verantwortung; ihre Ausrede: Sie halten ja immer genau jene Aktien, aus deren Kursen der Börsencomputer den DAX berechnet.

Sparer verklagen Verwalter

Fondsverwalter, die tatsächlich solches Missmanagement zu verantworten haben, können den VW-Vorstand nicht verklagen wegen zu spät erfolgter Informationen oder wegen betrügerischer Geschäftspraktiken. Eher können Kunden solcher Fonds ihre Manager verklagen – weil sie VW-Aktien durchhalten. Bayerische Beamte müssten insoweit ihren Pensionsverwalter verklagen. Der scheint sich nun vorauseilend exkulpieren zu wollen, indem er gegen VW klagt; wenn auch aussichtslos, wie Sachverständige es beurteilen. Aktiv werden passive Verwalter erst, wenn die Krise so groß sein wird und der Kurs so tief steht, dass die VW-Aktie nicht mehr zu jenen 30 Aktien zählen wird, aus deren Kursen der DAX berechnet wird. Dann sind passive Verwalter gezwungen aktiv zu werden und zu verkaufen. Und schicken den Kurs dann noch weiter in die Tiefe.

Gegen den Geist des Gesetzbuchs

Obendrein verleihen Fondsverwalter zwischendurch sogar noch VW-Aktien aus dem Eigentum der Fondskunden. Dafür gibt es vielleicht 1 % Jahreszins für den Fonds und mitunter auch eine Extragebühr für den Verwalter. Doch was machen Entleiher mit geliehenen Aktien? Sie verkaufen die Papiere in der Hoffnung, dass sie die gleichen Papiere später zu niedrigeren Kursen wieder zurückkaufen können. Und die Fondskunden haben den Schaden. Insoweit wäre es interessant zu begutachten, inwieweit solche Praktiken mit dem Geist des Kapitalanlagegesetzbuches in Einklang zu bringen sind. Ich habe insoweit große Zweifel. Börse, wie es wirklich läuft. Mehr erfahren von Martin Beier, Sachverständiger für Wertpapier-Anlagen.